Auf dem 6. afb Market and Innovation Event beleuchten eine Reihe von Experten das Thema Customer Onboarding aus verschiedenen Perspektiven. Ein ausgewiesener Experte für Digitalisierung in der Versicherungsbranche ist Martin Pluschke, Gründer und Geschäftsführer der CodeCamp:N GmbH.
In seiner Keynote auf dem 6. afb Market and Innovation Event geht es um die Frage, wie sich technolgische Entwicklungen antizipieren und zum Nutzen des Kunden einsetzen lassen. Im folgenden Interview erklärt Martin Pluschke, warum Digital Customer Onboarding für die Versicherungsbranche keine „one fits all“-Lösung ist.
Martin Pluschke, Gründer und Geschäftsführer der CodeCamp:N GmbH.
Jetzt ist es bald zwei Jahre her, dass Sie den Produkt- und Talentinkubator CodeCamp:N GmbH als 100-prozentige Tochtergesellschaft der NÜRNBERGER Versicherung gegründet haben. Bevor Sie diesen Schritt gewagt haben, waren Sie jahre- oder gar jahrzehntelang in der Konzernwelt zu Hause. Herr Pluschke, wie haben Sie den Kulturwechsel vertragen?
Ich denke, ganz gut. Meine Familie sagt zumindest, dass ich ausgeglichener bin. Das liegt aber weniger an dem Kulturwechsel, sondern eher daran, dass wir CodeCamp:N komplett „from scratch“ aufbauen durften und der Konzernvorstand uns hier großes Vertrauen und viel Freiheiten schenkt. Da entwickeln sich ganz automatisch ein viel größeres persönliches Commitment und auch echter Spaß an der Sache – nicht nur bei mir.
Was mir in dem Zusammenhang auffällt – auch bei der Frage jetzt wieder: Es wird immer suggeriert, dass „Start-up“ besser ist als die Konzernwelt. Eine NÜRNBERGER gibt es schon seit 1884. Die würden nicht heute noch existieren, wenn sie nicht wüssten, was sie machen, und nicht auch eine entsprechende Anpassungs- und Innovationskraft hätten.
Ist es tatsächlich so, wie man es sich schwarz-weiß-malerisch vorstellt? Auf der einen Seite viel Formalität, Hierarchie und große Meetings und auf der anderen Seite Agilität, Sitzkissen, Pizzaschachteln?
Klares Jein. Ein bisschen Klischee bedienen wir zugegebenermaßen schon. Vor allem die obligatorische Pizza für die Entwickler ist, angesichts der sich häufenden Pizzaschachteln am Eingang, nur noch schwer zu leugnen. Die Sitzkissen fehlen uns allerdings noch, dafür haben wir eine Hängematte – zählt die auch?
Was die Formalität angeht: Durch unser starkes Wachstum sind auch wir gezwungen, Zuständigkeiten und damit ein gewisses Maß an Formalität aufzubauen. Wo mehrere Menschen zusammenkommen, braucht es immer ein gewisses Maß an Regeln.
Trotzdem versuchen wir nur das zu regeln, was wirklich notwendig ist. Nur so können wir weiterhin unsere hohe Umsetzungsgeschwindigkeit, Kreativität und Flexibilität beibehalten. Bei dieser Gratwanderung zwischen Formalität und Agilität hilft es uns ungemein, dass wir als Konzerntochter entsprechende Unterstützung vor allem bei Governance-Themen von unserer Konzernmutter bekommen. In Return gibt es aber auch Synergieeffekte in Richtung Mutterkonzern, vor allem was Themen wie New Work und agiles Arbeiten angeht.
Was aber immer unterschätzt wird: Agilität hat auch viel mit Verantwortung zu tun und „sich zuständig fühlen“. Da sitzt man halt auch mal auf seinem Sitzkissen, bis das Inkrement fertig ist. Im Kern ist alles eine Frage der inneren Haltung. Immer. Bei dem ganzen Hype um Agilität, New Work etc. wird das leider ganz gern vergessen.
Sie halten auf dem afb Market and Innovation Event 2019 einen Vortrag. Bei dem Event geht es vor dem großen Rahmen Kundenorientierung speziell um Digital Customer Onboarding. Frage: Inwiefern hat die Tatsache, dass eine CodeCamp:N in ihrer bestehenden Form gegründet wurde, mit Kundenorientierung zu tun?
Eine ganze Menge. Alle reden von digitaler Transformation, im Kern geht es aber um eine kundenzentrierte Transformation. Ein wichtiger Treiber bei unserer Gründung war die These vom „Prosumenten“. Der Prosument ist ein mündiger Konsument, der sich seine Produktumgebung selbst schafft und damit als Nachfrager über die Marktmethoden entscheidet. Das führt zwangsläufig zur Schwächung der Position von Produzenten/Anbietern. Bei CodeCamp:N haben wir die Freiheit, konsequent vom ersten Tag der Produktentwicklung an kundenorientiert vorzugehen. Das mag jetzt banal klingen, aber die vollkommene Abwesenheit von Restriktionen bei der Produktentwicklung – seien sie Ebit- oder konzernpolitisch getrieben – lässt mitunter vollkommen andere Produkte entstehen.
Unsere Produkte müssen auch nicht einen unmittelbaren Bezug zum Thema „Finanzdienstleistung“ haben. Zunächst geht es uns allein darum, ein bestehendes Problem der Kunden auf digitalem Weg zu lösen und ihnen das Leben ein Stück weit einfacher zu machen. Wenn das Produkt beim Kunden funktioniert, ist die Verknüpfung mit Versicherungs- und Finanzdienstleistungen nicht weit und gibt uns dann auch die Chance, das Ganze entsprechend zu monetarisieren.
Sie sind ein Unternehmen, das stark für innovative Technologien steht. Wie sehen Sie den Zusammenhang von neuen Technologien und Kundenorientierung? Schließlich liest man immer wieder, dass Technologien aus Sicht von Unternehmen auch einfach selbstverliebt eingesetzt werden können und der Kunde teilweise vergessen wird.
Technologie ist ein Enabler für Unternehmen, Kunden die optimale Dienstleistung, das optimale Produkt anzubieten. Dabei ist es seltener, als man denken mag, die super fancy neue Technologie, die am Ende beim Kunden Erfolg hat – oft ist es die erprobte und zuverlässige Technologie, die smart genutzt wird. Gerade in der Finanzdienstleistungsindustrie ist die Grenze des Machbaren nicht mehr Technologie, sondern es sind vielmehr fehlende Ideen und Innovationen für die Nutzung der heute schon zur Verfügung stehenden Technik.
Trotzdem macht es ziemlich viel Sinn, sich als Unternehmen mit Technologie – und vor allem Zukunftstechnologie – zu beschäftigen. Nur so kann man frühzeitig das notwendige Know-how aufbauen, um dann entsprechend schnell reagieren zu können. Moderne Infrastruktur und Technologie hilft ungemein, schnell und agil auf sich verändernde Kundenanforderungen zu reagieren, neue Services zu entwickeln und diese zu integrieren.
Die Unternehmen – und dazu gehört auch die Finanzdienstleistungsindustrie – müssen zwar keine Tech-Unternehmen werden, sie müssen aber lernen, wie eines zu denken. Erst wenn man ein gewisses Technologie-Know-how aufgebaut hat, ist man überhaupt in der Lage zu entscheiden, was man NICHT macht.
Generell gilt: Nicht die Technologie verändert die Welt, sondern die Art, wie die Leute die Technologie nutzen.
Wie sehen Sie die Landschaft der Finanzdienstleister, allen voran die Versicherungswirtschaft, in Sachen Kundenorientierung aufgestellt?
Die Branche reagiert mit einer gewissen Latenz auf Risiken, die sich durch den rasanten Wandel ergeben – was ich im Übrigen auch äußerst vernünftig finde. Der Anspruch der Versicherungen ist es, das von ihnen gegebene Leistungsversprechen einzuhalten – das bedingt daher auch, dass sie nicht jedem Trend hinterherrennen können.
Zusätzlich zu dem zunehmenden Marktdruck aus der immer schneller voranschreitenden Digitalisierung muss die Branche zudem auch noch stetige regulatorische Eingriffe in ihr Kerngeschäft verkraften – sei es jetzt LVRG und vor allem aktuell das Thema „Provisionsdeckel“. Wobei ich Letzteres zumindest aus Sicht eines Anbieters für digitale Mehrwertservices als Chance sehe – nicht nur für CodeCamp:N, sondern für die gesamte Branche. Eine Differenzierung am Markt muss jetzt eben über Zusatzservices erreicht werden – und diese wiederum sind nur dann erfolgreich, wenn sie konsequent auf den Kunden bzw. Vertriebspartner ausgerichtet sind. Von daher ist in meiner Wahrnehmung zu diesem Zeitpunkt viel Bewegung in der Branche – was am Ende den Kunden zugutekommt.
Digital Customer Onboarding soll eine Art Hands-on-Anleitung oder grob gesagt Hausrezept bieten, um die digitale Kundengewinnung und Kundenbindung zu verbessern. Wie sehen Sie den Beitrag, um den Finanzdienstleistern im Alltag Hilfestellung zu leisten? Wo stehen aus Ihrer Sicht die Versicherer bei dem Thema?
Ich tue mich extrem schwer mit diesen „one fits all“-Statements. Es kommt auf vieles an – auf den Reifegrad meiner Organisation, auf mein Geschäftsmodell und vor allem und in erster Linie auf das, was mein Kunde will. Weiß ich das – oder meine ich es nur zu wissen? Der Finanzdienstleistungssektor steht vor der Herausforderung, sowohl eine persönliche Kundenberatung als auch digitale Kundenservices anzubieten. Diese Herausforderung wird gekrönt von der nächsten Herausforderung: durchgehend und über alle möglichen Interaktionskanäle eine exzellente Customer Experience sicherzustellen. Nur so gelingt eine hohe Akzeptanz bei den Kunden. Und das fängt mit den Produkten an – hier wird der Trend zwangsläufig zu einer stärkeren Simplifizierung gehen. Da können sich die Versicherer von den Banken noch einiges abschauen – zumindest als „Buzzword“ ist „Digital Client Onboarding“ bei den Banken schon etwas länger im Umlauf.
Was hier aber noch ein starker Hemmschuh ist, sind die historisch gewachsenen IT-Alt-Systeme und -Organisationen. Hier ist der Gap zwischen Fancy-Frontend und Batch-Backend noch groß.
Diesen Gap zu schließen respektive die Kernsysteme zu erneuern, hat die Branche aktuell voll im Griff.
Ihre Keynote am 28. Mai in München hat den Titel: „Die übernächste Welle: Digitalisierung aus Sicht des Kunden“. Wenn Sie von „übernächster“ Welle sprechen, was ist aus Ihrer Sicht eigentlich dann die „nächste“ Welle?
Aktuell nehme ich die Themen IoT, Machine Learning und KI als sehr dominant wahr.
Ganz unten im IT-Maschinenraum kommt gerade „NoOps“ als Quasi-Trend hoch. Hier bekommen wir als Technologiedienstleister die Möglichkeit, auf (zuverlässige) Services zurückzugreifen, ohne uns dabei auch nur im Ansatz um die darunterliegende Betriebsinfrastruktur sorgen zu müssen. Voice ist hier zumindest aus einer rein technologischen Sicht ein schönes Beispiel. Aus technischer Sicht ein Traum – aus sicherheitstechnischer oder Datenschutzsicht ein Alptraum. Aber um ehrlich zu sein – die Leading-Edge-Technology überlassen wir anderen und konzentrieren uns eher auf die smarte Nutzung etablierter Technologie.
Welche Kernbotschaft würden Sie den circa 120 Entscheidern aus der Finanzdienstleisterbranche für den Tag gerne mitgeben?
Machen. Seien Sie mutig und machen Sie einfach mal bzw. lassen Sie einfach mal machen und arbeiten nicht auf strategischer Ebene alles bis ins kleinste Detail aus. Vertrauen Sie auf Ihr Team. Sie werden merken, wie viel Potenzial da auch in sehr juniorigen Personen steckt. Und streichen Sie „ja, aber“ aus Ihrem Vokabular.
Mut. Vertrauen. Machen.