Auf dem 6. afb Market and Innovation Event beleuchten eine Reihe von Experten das Thema Customer Onboarding aus verschiedenen Perspektiven. Der wohl bekannteste Experte auf dem Gebiet der Kundenorientierung ist Edgar K. Geffroy. Langjährige unternehmerische Erfahrungen machen ihn zu einem gefragten Strategieberater für disruptive Geschäftsmodelle. Der „Servicepionier“ hat der gesamten Kundenorientierung bereits Anfang der Neunzigerjahre mit seiner Clienting® Strategie eine ganz eigene Note gegeben.
Seine Eröffnungs-Keynote auf dem 6. afb Market and Innovation Event behandelt die Notwendigkeit, Kunden mit innovativen Strategien in der digitalen Welt wieder zu verblüffen. Im folgenden Interview erklärt Edgar K. Geffroy, welche Rolle die Idee des Digital Customer Onboarding bei seiner Mission „Herzenssache Kunde“ einnimmt.
Ihr erstes Buch zum Thema Kundenorientierung erschien bereits vor 25 Jahren. Danach kamen zahlreiche dazu. Kundenorientierung ist also ein alter Bekannter und offensichtlich auch ein Dauerbrenner. Dennoch hat man das Gefühl, dass es derzeit besonders im Fokus steht. Sehen Sie das auch so? Wenn ja, wie kommt das?
Ja, es ist ohne Zweifel eine Renaissance zu spüren. Kundenorientierung ist tatsächlich en vogue. Die zentrale Ursache hierin liegt in der Digitalisierung. Diese wirkt grob gesagt auf zwei Ebenen:
- Zum einen sind weltweit Unternehmen aufgestiegen, welche Kundenorientierung für alle sichtbar in Vollendung zelebrieren. Allen voran ist hier Amazon zu nennen. Das Unternehmen hat es geschafft, als „kundenorientierte Maschine“ die Vorreiterrolle in Sachen Kundenorientierung zu übernehmen und über Jahre hinweg auszubauen. Da der überwältigende wirtschaftliche Erfolg von Amazon jedem bekannt ist, wird für jeden die einfache Formel sichtbar: Herausragende konsequente Kundenorientierung führt zu herausragendem Erfolg. Die Unternehmenslenker denken sich: Kundenorientierung lohnt sich, also lasst uns das auch mal angehen!
Stichwort „Maschine“: Das Beispiel Amazon zeigt auch, dass Kundenorientierung heute vor allem im digitalen Umfeld verstanden und praktiziert werden muss. Hiermit ist verbunden, dass bei Kunden in digitalen Zeiten der Wunsch nach Menschlichkeit und Nähe weiterhin besteht bzw. sogar verstärkt wird. Das sollten die Unternehmen bei ihren Bemühungen im Hinterkopf behalten. - Der zweite Effekt ist auf der Kundenseite angesiedelt. Er besteht darin, dass die Digitalisierung den Kunden sukzessive mehr Macht verliehen hat und der Kunde diese auch konsequent ausübt: Sei es beim digitalen Einkaufsverhalten, indem einfach per Mausklick zum besseren Angebot gewechselt wird, sei es in den sozialen Medien, wo er eine globale Bühne hat, um Vorlieben, aber auch Unmut wirksam zu äußern.
Gab es in der langen Zeit jemals Phasen, in denen Kundenorientierung als „gelöst“ erschien und sich dem Thema niemand mehr widmen wollte? Und wenn nicht: Ist so etwas denkbar, vielleicht in Zeiten der Digitalisierung?
Zu Beginn meiner Beratertätigkeit gab es eine externe Studie in der sage und schreibe 6 Prozent der Unternehmen kundenorientiert handelten.
10 Jahre später, Ende der Neunziger, war man dann bei 72 Prozent und die Unternehmen schienen mit sich und Ihrem Kundenorientierungserfolg zufrieden. Diese Jahre könnte man so interpretieren, dass die Unternehmen das Thema „Kundenorientierung“ tatsächlich als gelöst eingestuft hatten.
Dann hat die Digitalisierung eingesetzt und es rückte wieder so langsam in den Vordergrund, so dass wir uns wir uns aktuell in einer zweigeteilten Welt befinden. Einerseits gibt es Initiativen, die verfolgt werden, wie zum Beispiel auf dem afb Market and Innovation Event in diesem Jahr. Andererseits gibt es bei vielen Unternehmen unvorstellbar viel Nachholbedarf. Aus meiner Beratungstätigkeit ist mir bekannt, dass es selbst Großunternehmen gibt, die nicht über CRM-System verfügen. Dies veranschaulicht das Ausmaß des Nachholbedarfs, mit dem wir es in der Praxis tatsächlich zu tun haben.
Der Standort Deutschland gilt ja bekanntlich als Servicewüste. Service ist ein wichtiger Baustein für Kundenorientierung. Wir sehen Sie die Stellung Deutschlands im internationalen Vergleich?
Die Frage kann man ganz klar mit „ja“ beantworten. Deutschland ist nach wie vor ein Land mit starkem Production & Engineering-Charakter. Aus meiner Beratungstätigkeit weiß ich, dass diese Philosophie selbst in einigen DAX-Konzernen noch dominiert. Das entspricht nicht nur meiner eigenen Einschätzung. Vielmehr hat dies der eine oder andere DAX-Vorstand selbstkritisch über das eigene Unternehmen in unseren Workshops geäußert. Sie beginnen jetzt erst mit einer systematischen Kundenorientierungsarbeit. Hieran sieht man, wie stark die alte Denke in wirtschaftsbestimmenden Organisationen verwurzelt ist.
Auch wenn schon von überall die Warnschüsse zu hören sind: Deutschland ist hier in der Zufriedenheitsfalle gefangen, die darin besteht, dass man sich immer noch gerne auf den vor Jahrzehnten geleisteten Production & Engineering-Erfolg ausruht.
Die digitale Transformation hat die Welt klein gemacht. Würden Sie sagen, dass sich dies positiv auf die Angleichung von Deutschland an andere Länder ausgewirkt hat?
Auch wenn durch Digitalisierung gewisse Standardisierungs- und Normierungseffekte unausweichlich sind – es bleibt dabei: Deutschland ist in Sachen Kundenorientierung ein Entwicklungsland.
Gibt es Branchenunterschiede? Fällt es also manchen Branchen leichter, in Sachen Kundenorientierung Vorreiter zu sein? Wie würden Sie die Entwicklung auf Seiten der Finanzdienstleister, allen voran Banken bewerten? Sind aus Ihrer Sicht Auffälligkeiten oder Besonderheiten feststellbar?
Man kann schon sagen, dass sich die Branche der Finanzdienstleiter besonders schwertut.
Bekanntlich befindet sich die Branche ja in einem Überlebenskampf. Das kommt nicht von ungefähr. Es ist unbestritten, dass veränderte Rahmenbedingungen herrschen und damit verbunden nicht mehr funktionierende Geschäftsmodellen hierfür die Ursache sind. Diese Argumente werden nun ins Feld geführt, wenn es um Dinge wie Filialsterben und den Überlebenskampf der Bankenbranche geht.
Jedoch ist nicht zu vergessen, dass zahlreiche Institute über Jahrzehnte hin die Belange des Kunden nicht verstanden bzw. schlichtweg ignoriert haben. Hierfür sind die Ursachen in den Kritikpunkten zu finden, mit denen Banken und Versicherungen sich typischerweise auseinandersetzen müssen: Starre Organisationen, veraltete Denkstrukturen, Silo-Denken, Schwerfälligkeit und wenig Wandelbereitschaft.
Immer wieder tauchen neue Disziplinen auf, die das Thema Kundenorientierung in irgendeiner Form tangieren, vertiefen oder streifen. Als „Kundenversteher der ersten Stunde“ werden Sie sicher häufig Dinge erkennen, die mit neuen Worten etwas Bekanntes ausdrücken. Wie stehen Sie zu „Mode“-Begriffen wie Customer Journey, Customer Experience oder Customer Centricity?
Prinzipiell ist gegen diese Impulse nichts einzuwenden. Hauptsache sie führen dazu, dass man sich mit dem wichtigen Thema Kundenarbeit beschäftigt. Die große Gefahr dabei ist aber, dass man sich immer nur bruchstückhaft dem Thema widmet. Das wird immer zu kurz greifen. Am Ende des Tages geht es darum, den Spirit eines ganzen Unternehmens ganzheitlich dahin zu bewegen, kundenorientiert zu denken und zu handeln. Customer Journey, Customer Experience, Customer Centricity sind übrigens Teilaspekte meiner Clienting® Strategie, die ich vor 25 Jahren entwickelt habe. Diese Ansätze sind ganzheitlich und haben das Ziel erster im Kopf des Kunden zu werden.
Nun haben wir es also (Digital) Customer Onboarding. Ein Thema, was von vielen Experten als zentral für das Überleben von Finanzdienstleistern eingeschätzt wird. Deshalb ist es auch das Leit-Thema des diesjährigen afb Market Innovation Event am 28 Mai in München. Wie bewerten Sie den Impuls bzw. den Wert, den der Begriff auf die Praxis ausübt?
Hier muss ich tatsächlich eine rühmliche Ausnahme machen. Als ich über den Begriff gestolpert bin, habe ich mich geärgert, dass er nicht von mir ist. So gut finde ich das. Während Begriffe wie „Kundenzentrierung“ im Vergleich zu „Kundenorientierung“ nur mit viel Wohlwollen neue Aspekte im marginalen Umfang enthalten, ist es hier anders.
Die Idee des „Onboardings“ finde ich so schön anschaulich. Jeder, der geflogen ist, kennt die Problematik, die sich zum Beispiel auch die HR-Abteilungen zu Nutze gemacht haben und schon seit längerem das „Employee Onboarding“ etabliert haben.
Das Schöne an dieser Konkretisierung der „digitalen Kundenorientierung“ finde ich, dass es einerseits eine weitere Chance bietet, um ins „Doing“ vorzudringen und dennoch eine übergeordnete, gut zu vermittelnde Idee beinhaltet.
Ich finde diese Grundidee hochspannend und im Gegensatz zu vielen anderen Begriffen rund um „Customer“ eine echte Bereicherung.
In welcher Phase würden Sie Digital Customer Onboarding bei Finanzdienstleistern sehen? Befinden wir uns am Anfang? Oder ringt man in der Praxis bereits mit Detailfragen? Oder ist das Thema gar schon in der Feinjustierungs-Phase?
Ich sehe diese Frage ganz stark im Zusammenhang mit der Frage, wie es um die Branche der Finanzdienstleister bei der Kundenorientierung generell steht. Also ist auch hier die Antwort, dass wir uns gerade erst am Anfang befinden, jedoch wirklich akuter Handlungsbedarf herrscht.
Inwiefern lässt sich Kundenorientierung mit IT-Lösungen sicherstellen?
Da wir von „digitaler“ Kundenorientierung sprechen, sind entsprechende IT-Strukturen natürlich unausweichlich. Jedoch müssen wir genau hier aufpassen. Denkt man über IT-Lösungen, denkt man schon lösungsorientiert. Lösungsorientiert ist schon mal besser als produktorientiert. Aber hier darf der Fehler nicht passieren: Lösungsorientiert kann auch schon zu spät sein. Der Kunde kann mit seinen Wünschen wieder woanders sein. Was ich damit ausdrücken will: Der Maßstab ist wieder der Kunde – und nicht die Lösung.
Sie halten am 28.Mai in München den Keynote-Vortrag mit dem Titel „Herzenssache Kunde“. Welche Kernbotschaft würden Sie den ca. 120 Entscheidern aus der Finanzdienstleisterbranche für den Tag gerne mitgeben?
Schlaraffenland ist abgebrannt. Das klingt dramatisch, aber es geht ja auch darum, wachzurütteln. Dennoch gibt es in dieser Situation einen positiven Aspekt: Es ist eine Zeit, die eine gigantische Chance auf herausragende Kundenorientierung mit sich bringt.
Herzlichen Dank für das Gespräch. Ich bin sehr gespannt auf Ihre Keynote und die Diskussion mit Teilnehmern beim 6. afb Market and Innovation Event am 28. Mai 2019 in München.