Was haben Finanzdienstleister und die Musikindustrie gemeinsam? Sie stehen den gleichen Herausforderungen gegenüber – die Musikindustrie allerdings bereits vor zehn Jahren … auch die Manager damals hätten die Digitalisierung beinahe nicht wirklich ernst genommen. Dann hätte viele Unternehmen das gleiche Schicksal wie einen bekannten Kamerahersteller ereilt. Glücklicherweise gelang es ihnen, diese Entwicklung abzuwenden – dank eines radikalen Perspektivenwechsels. Die Musikindustrie hat angefangen, wie ihre Kunden zu denken: also Kundenorientierung total. Die Optimierung der digitalen Customer Journey und des Client Onboarding sollte auch bei den Playern der Finanzbranche an oberster Stelle der Prioritätenliste stehen. Ist dem aktuell so? Erhalten die Bankkunden wirklich, was sie wollen? Der 2. AUTOHAUS Bankengipfel beleuchtete die Auswirkungen der Digitalisierung auf die Financial Services und gewährte Einblicke in konkrete Umsetzungsmöglichkeiten.

Quelle: afb
Kunden wollen verstanden werden
Die Kunden leben mehr denn je nach der Devise: „Wer mir etwas verkaufen möchte, muss sich nach mir richten“. Mit fortschreitender Technologieentwicklung und Digitalisierung haben sich ihre Gewohnheiten und Bedürfnisse geändert. Im Hinblick auf künftige Mobilitätsanforderungen mit Trends wie Sharing Economy, Connected Driving oder autonomem Fahren und Elektromobilität sollten Finanzdienstleister entscheiden, wie sie diese intelligent mit Finanzprodukten verknüpfen. Dieser Ansicht war auch Dr. Daniel Hinkeldein, Bereichsleiter Innovation und Business Development des IUM Instituts für urbane Mobilität. Trotz kreativer Diskussionen gab es kein einheitliches Ergebnis, es wurde aber eine Basis für weitere Überlegungen gelegt.
Kunden wollen Beratung in Echtzeit
Entscheidungen, insbesondere Kaufentscheidungen bei hochpreisigen Produkten, sind komplex. Finanzdienstleister, Hersteller und Händler können Hilfestellung bieten und die Beratung auf Grundlage einer gesamtheitlichen Datenbasis unterstützen, indem sie Kunden für die Phasen „Informieren“ und „Vergleichen“ Tools, wie z. B. Robo Advisory oder Sales Scorings, online anbieten. Dies kann den Entscheidungsprozess verkürzen bzw. die Abschlusswahrscheinlichkeit deutlich erhöhen.
Prof. Dr. Christian Rieck, Professor für Finance und Wirtschaftstheorie der Frankfurt University of Applied Sciences, ging mit seiner These sogar so weit, dass Roboter – teilweise schon heute – die besseren Verkäufer seien (aber auch ihre Interessen bzw. die Interessen ihres „Programmierers“ verfolgen können). In jedem Fall wird sich in einer sich rasant weiterentwickelnden Welt von Big Data, sozialen Netzwerken und Chatbots das Zusammenspiel von Mensch und Maschine grundlegend ändern. Beratungsrobotor sind uns als absolute Spezialisten in ihrem Segment haushoch überlegen. Sie identifizieren den Kunden, bevor er sich vorgestellt hat, kennen seine Wünsche und auch die Argumente, mit denen er sich zum Kauf überzeugen lässt. Nachdenklich gestimmt wurden die Teilnehmer durch die Aussage, dass ein noch so komplexer Verkaufsprozess – demnächst – ganz gut auch ohne uns Menschen funktioniert.
Kunden wollen Omni-Channel
Eine intelligente Verzahnung der verschiedenen Kanäle bzw. Touchpoints ist Grundvoraussetzung für eine optimierte Customer Journey. Kunden lassen schon heute ganz selbstverständlich die reale (Offline-) Welt hinter sich und nehmen ein Omni-Channel-Angebot mit Ubiquität und 24/7-Verfügbarkeit als Voraussetzung für Kaufabschlüsse (und nachfolgende Services). Erhebliche Potentiale der Digitalisierung liegen aber auch in der Erneuerung der Backoffice-Systeme. An der Front zum Kunden heißt das Zauberwort hingegen Ecosystem, in das OEM und Captive ihre Kunden hineinziehen müssen, um Kundennähe und -loyalität zu erreichen. Anthony Bandmann, Sprecher der Geschäftsführung der Volkswagen Leasing GmbH, konnte dies plastisch erläutern. Um die notwendige Akzeptanz des Kunden zu erreichen, ist es ein geschickter Schachzug, eine Funktion in den Mittelpunkt zu stellen, die wir alle, wenn wir das Auto nutzen, dringend brauchen (und uns komfortabler wünschen): das Parken.
Kunden wollen digital abschließen
Ist es denn so schwer, den Gesamtprozess der Customer Journey vom Informieren über das Vergleichen bis zum Abschließen für unterschiedliche, in Echtzeit miteinander synchronisierte Kanäle digital abzubilden? Die rechtlichen und technologischen Hürden wurden bereits genommen, es spricht also nichts mehr dagegen, dass Finanzdienstleister ihren Kunden die Abschlussmöglichkeit von Online-Verträgen mit Hilfe von Online-Legitimation, Dokumentendigitalisierung und elektronischer Unterschrift anbieten. Attraktive Beispiele für eine optimierte Customer Experience präsentierte Thorsten Heckrath-Rose, Geschäftsführer der ROSE Bikes GmbH. Jeder, der einen Blick in die Welt der ROSE Bikes werfen durfte, wird – kurzzeitig oder nachhaltig – vom Wunsch beseelt sein: Das schaue ich mir mal an. Beachtenswert, dass dieser mittelständische Fahrradhersteller in der Digitalisierung des stationären Handels Maßstäbe setzt. Mit scheinbarer Leichtigkeit hat das Unternehmen Online- und Offline-Welt verschmolzen, nutzt die sich ergebenden Chancen der Technologie und bietet digitale Vertriebskonzepte mit Finanzierung (Fahrradleasing) als integralem Bestandteil.
Ein weiteres Beispiel zur Vereinfachung des Finanzierungsantrags präsentierten Enrico Moritz, Manager Business Development der afb Application Services AG und Martin Schmid, Chief Sales Officer der FinTecSystems GmbH, mit der Digitalen Bankauskunft. Eine Innovation, die bereits ihren Siegeszug angetreten hat. Dem Kunden bleibt die mühsame – und in mancher Situation eher unangenehme – Erstellung einer Haushaltsrechnung erspart, die Bank erhält über sein Gehaltskonto einen absolut aktuellen, digitalen Einblick in die Einkommens- und Liquiditätssituation des potentiellen Kunden. Die Vorteile beider Seiten lassen sich als typische Win-Win-Situation beschreiben und regen an, tradierte Prozesse zugunsten einer digitalen Customer Experience auf den Prüfstand zu stellen.
Kunden wollen Sicherheit
Mit zunehmender Digitalisierung steigen die Sicherheitsanforderungen. Insbesondere bei der steigenden Komplexität der IT-Landschaften mit diversen Schnittstellen zu Drittanbietern etc. verlieren Kunden schnell den Überblick, welche Unternehmen nun über welche Daten verfügen. So kann wohl heute niemand glaubwürdig behaupten, er habe die (IT-) Risiken vollends im Griff, was durch die sich abzeichnenden „Bankaufsichtlichen Anforderungen an die IT (BAIT)“ mit entsprechenden Rahmenvorgaben unterlegt wird. Einsichten in Darknet und Cyberkriminalität machten deutlich, dass die Implementierung und stete Pflege eines Informationssicherheitsmanagementsystems (ISMS) notwendige Pflichtaufgabe zur Absicherung der eigenen Existenz sein sollte. Mitarbeiter und Nutzer der eigenen Systeme zu sensibilisieren, mögliche Angriffsszenarien transparent zu machen, ist eine begleitende Maßnahme und sicherlich lohnende Investition. Die Ausführungen von Eike Auferkamp, Business Development Manager International der TÜV Informationstechnik GmbH, hinsichtlich der Auswirkungen der Digitalisierung auf das Thema Security stimmten die Teilnehmer nachdenklich und verdeutlichten die Dringlichkeit des Handlungsbedarfs.
Realität im Handel: die Herausforderungen sind vielfältig
Man kennt die Kundenwünsche, also sollte doch auch die Erfüllung kein Problem sein. Was hält die Player der Finanzbranche auf? Sowohl Marken- als auch Mehrmarkenhändler, freie Autohäuser und Service Provider stehen vielfältigen Herausforderungen gegenüber: wählerische und gut informierte Kunden, umfangreiche Vertragswerke von Herstellern und Banken, Konditionen und knappen Margen, technische Widrigkeiten „auf Feldebene“ und inkompatible, schlecht miteinander kommunizierende Systeme. Hier ist nur festzustellen: Die Liste der Ansatzpunkte zur Optimierung ist lang – und wird durch die unaufhaltsame Digitalisierung des Geschäfts noch länger. Benjamin Jakob, Geschäftsführer der Autohaus Jakob GmbH, erdete die Teilnehmer durch eine anschauliche Darstellung der Höhen und Tiefen eines Autohändlers der realen Welt.
Optimierung der digitalen Customer Journey per Fast Integration
Veraltete bzw. gewachsene IT-Landschaften sind bei Finanzdienstleistern häufig Realität und behindern scheinbar deren Innovationsbestrebungen. Innovative Business Services schaffen hier Abhilfe und ermöglichen, die Customer Journey individuell neu zu gestalten. Auf Basis einer serviceorientierten Architektur lassen sich bestehende IT-Landschaften einfach und schnell um innovative Funktionen erweitern, ohne deren Basis zu verändern. In einem modularen Ansatz wird die Schnittstelle zum Kunden neu gestaltet und manche Funktion aus dem Core System, das damit schlanker wird, kann abgelöst werden. Über eine konsequente End-to-End-Betrachtung der Prozesse können Unternehmen zudem die Kosten von Medienbrüchen reduzieren.
Die größte Herausforderung für die Player der Finanzbranche liegt also nicht mehr darin, die Kunden zu verstehen – Internet, Fachzeitschriften, Blogs bieten genügend Informationen zu den heutigen Kundenbedürfnissen – sondern darin, Strukturen und Prozesse ganzheitlich und intelligent auf eine optimierte Customer Journey auszurichten. Auch wenn dies bedeutet, bewährte Geschäftsmodelle in Frage zu stellen. Mut zur Umsetzung ist gefragt!
Mit freundlichen Grüßen
Lars Rüsberg