Megatrends wie Digitalisierung und Globalisierung beeinflussen massiv strategische und operative Fragestellungen im Zusammenhang mit Führung und Arbeit. Während virtuelle und reale Produktionsprozesse im Kontext von Industrie 4.0 zunehmend verschmelzen und sich kundenzentriert ausrichten, sind Organisationen gefordert, die Herausforderungen der digitalen Transformation über Geschäftsmodelle, Technologie und Know-how zu adressieren.
Der Grundgedanke des Lernens in Organisationen ist es, das kollektive Wissen der Mitarbeiter zum Aufbau von Wettbewerbsvorteilen zu nutzen. Da das Kollektiv jedoch aus vielen Individuen besteht, muss zunächst die Frage nach dem individuellen Wissensaufbau bezogen auf den einzelnen Mitarbeiter gestellt werden.
Dem Knowledge Management, d. h. der Organisation der Entstehung, Sammlung und Verbreitung von Wissen, kommt dabei eine zentrale Rolle zu. Denn das Wissen der Mitarbeiter wird für Unternehmen erst dann zum nachhaltigen Wettbewerbsfaktor, wenn es in Produkten und Prozessen konkreten Nutzen stiftet [1]. Insbesondere für Innovation und Kreativität gilt Lernen als zentrale Voraussetzung [2], da es zu optimierter Problemlösung führt [3]. Da Wissen somit ohne Zweifel ein relevanter Wettbewerbsfaktor ist, finden Mitarbeiterqualifikation und deren Entwicklung auch Eingang in Qualitätsmanagement-Modelle wie EFQM [4].
Grundvoraussetzung für die Schaffung neuen Wissens ist ein Lernvorgang. Dieser basiert auf von unseren Sensoren aufgenommenem Daten-Input, der dann auf Basis von Wissen, Erfahrungen und Relevanz gefiltert und individuell bewertet wird [5]. Lernen ist also zunächst ein individueller Vorgang, gleichartiger Input führt dabei nicht zu gleichartigem Wissen.
Neue Formen – neue Anforderungen
Mitarbeiter sehen sich durch die Digitalisierung mit steigenden Qualifikationsanforderungen konfrontiert. Dabei sind nicht nur fachliche Qualifikationen betroffen, also diejenigen Kompetenzen, die zur Ausübung des Berufs notwendig sind und sich durch Automatisierung und Digitalisierung verändern. Durch die zunehmende Intelligenz und Vernetzung der Produkte, die mit Sensoren ausgestattet eigenständig Entscheidungen treffen und Optimierungsmaßnahmen einleiten, wird Informationstechnologie zum Bestandteil beinahe jeder Tätigkeit im Unternehmen [6].
Auch im Umfeld der sozialen und medialen Kompetenzen sind tiefgreifende Veränderungen zu erwarten. Die Vorteile der digitalen Arbeit wie Mobilität und Flexibilität führen zwar einerseits zu mehr Freiraum, andererseits jedoch zu erhöhter Eigenverantwortung, Selbständigkeit und dem Verschwimmen der Grenzen von Privat- und Berufsleben [7]. Mitarbeiter müssen sich daher zunächst auf neue Arbeitsformen einstellen und adäquate Kommunikationsmuster unter Nutzung der zur Verfügung stehenden Medien erlernen. Erst mediale Kompetenz erlaubt die Unterscheidung und sinnvolle Nutzung von Informationsquellen und Interaktionsmöglichkeiten, wie Blogs, soziale Netze und Chats [8].
Hochflexible digitale Lernangebote
Glücklicherweise führt die Digitalisierung jedoch ebenso zu einer bislang nie dagewesenen Breite und Tiefe an digitalen Lernangeboten. Es ist so einfach wie nie, orts- und zeitunabhängig lebenslang individuell neue Kompetenzen außerhalb von klassischen Seminaren zu erlernen [9]. Das Internet bietet einen breiten, oftmals kostenlosen Zugang zu aktuellen Erkenntnissen aus Wirtschaft und Wissenschaft. Die Kombinationen reichen dabei von reinen E-Learning-Angeboten bis zum sogenannten Blended Learning, das offline und online Angebote kombiniert. Im E-Learning stehen nicht nur Lehrmaterialien digital zur Verfügung. Auch das Tutorial und zugehöriger Austausch mit Gleichgesinnten erfolgen über Videos, Blogs, Wikis und weitere soziale Plattformen.
Angebot zu und Nachfrage von sogenannten Massive Open Online Courses mit Anbietern wie Coursera, iTunes U, Iversity, Khan Academy oder Udacity haben daher in den vergangenen Jahren stark zugenommen. Oftmals sind diese Weiterbildungsangebote kostenfrei, für Zertifikatskurse fallen jedoch im Regelfall Gebühren an [11]. Die von zwei Stanford-Professoren im Jahr 2012 gegründete Plattform Coursera gehört zu den bekanntesten Anbietern mit mehreren hundert Kursen von mehr als 100 Hochschulen aus aller Welt. Die bedeutendste deutsche Plattfom Iversity mit Sitz in Berlin bietet seit 2013 akademische und praxisbezogene MOOCs auch in deutscher Sprache an, das Angebot umfasst jedoch nur wenige Dutzend Kurse [12]. Die 2012 gegründete, private Online-Akademie Udacity fokussiert mit kostenpflichtigen Angeboten ganz auf berufliche Weiterbildung, vor allem im Themengebiet Informatik. „Zusammen mit den Branchenriesen – Google, AT&T, Facebook, Salesforce, GitHub etc. – bieten wir Nanodegree Abschlüsse an, die so konzipiert sind, dass Fachkräfte zu Webentwicklern, Data Analysts, Mobile Developers, Machine Learning Engineers etc. werden“ [13].
Der technologische Fortschritt ermöglicht dabei nicht nur die Verfügbarkeit eines breiten Informationsangebots, sondern auch die Individualisierung der Angebote in Bezug auf den Wissenstand und Fortschritt des Mitarbeiters. Trotz aller Freude über die neuen Freiheiten und Möglichkeiten gehen diese aber auch immer einher mit gestiegener Erwartungshaltung, Selbstverantwortung und Transparenz. Denn Lernfortschritt und Ergebnisse stehen potenziell nicht nur dem Mitarbeiter, sondern auch dessen Führungskräften und Personalabteilung zur Verfügung. Wenn Big Data letztendlich die Chancen eines erfolgreichen Abschlusses von Ausbildung, Studium oder Seminar errechnet, steigt der Druck auf den einzelnen Mitarbeiter.
Einzug erweiterter Realitäten
Neuartige Lernformate sind zwar in aller Munde, haben aber den Weg in die Praxis noch nicht flächendeckend gefunden. Auch im Umfeld von Augmented und Virtual Reality finden sich interessante Anwendungsfälle von, um das theoretisch Erlernte durch „learning by doing“ in der Praxis zu festigen, beispielsweise in Medizin und Fertigung. Spielifizierung (Gamification) wiederum bedient sich dem spielerischen Erlernen nach dem Lego-Prinzip und findet beispielsweise Einsatz in Produktdesign und -entwicklung [15].
Strukturiertes Teilen von Wissen
Ist neues Wissen erst einmal erworben, so stellt sich im Unternehmenskontext die Frage nach dessen Strukturierung, Aufbewahrung, Zugänglichkeit und Wiederauffindbarkeit. Denn optimalerweise profitieren nicht nur die Teilnehmer selbst, sondern auch deren Kollegen. Hierzu ist es notwendig, die Informationen so zu dokumentieren, dass dieses schnell durchsucht und wiederverwendet werden kann. Bedingt durch Mitarbeiterfluktuation und sich ändernde Aufgabenspektren der einzelnen Mitarbeiter ist es für Unternehmen erfolgskritisch das Wissen der Einzelnen zum Wohle des Unternehmens zu nutzen. Hierbei sind Unternehmen oftmals noch auf die schriftliche Dokumentation und Weitergabe angewiesen. Effizienz steht auch hier im Vordergrund, denn erst eine hohe Qualität der Informationen und deren strukturierte Ablage ermöglichen eine ressourcensparende Wiederverwendung. Dieser technische Aspekt kann mithilfe von Wissensdatenbanken adressiert werden.
Auf die optimale Nutzung des Angebots kommt es an
Zusammengefasst lässt sich festhalten, dass vielfältige, auf den Einzelnen zugeschnittene Weiterbildungsangebote existieren. Inwiefern es gelingt, das umfangreiche Angebot zur Steigerung des organisationalen Wissens als Wettbewerbsvorteil zu nutzen, hängt von unterschiedlichen Faktoren ab. Einfluss haben Unternehmenskultur und technologische Einbindung genauso wie Führung hin zu mehr eigenständiger Weiterbildung.
Mit freundlichen Grüßen
Enrico Moritz
2 Stata R., (1989). Organizational Learning – The Key to Management Innovation. Sloan Management Review Spring, 63–74
3 Schneider G., Breßler J. (2016). Innovationsfähigkeit im Kontext organisationaler Lernfähigkeit (No. 7-1). Chemnitz University of Technology, Faculty of Economics and Business Administration
4 EFQM (2016). The EFQM Excellence Model. URL: http://www.efqm.org/the-efqm-excellence-model
5 Crossan M. M., Lan, H. W., White R. E. (1999). An Organizational learning Framework: From Intuition to Institution. Academy of Management Review, 24(3), 522– 537.
6 Steinhaus I. (2016). Jeder Job ändert sich – bis zum CEO. URL: http://www.it-zoom.de/mobile-business/e/jeder-job-aendert-sich-bis-zum-ceo-14323/
7 Schwarzmüller T., Brosi P., Welpe I. M. (2016). So verändert die Digitalisierung unsere Arbeitswelt. XING spielraum
8 Haberfellner R. (2015). Zur Digitalisierung der Arbeitswelt. Globale Trends – europäische und österreichische Entwicklungen. Arbeitsmarktservice Österreich 2015 AMS report 112, URL: http://www.forschungsnetzwerk.at/downloadpub/AMS_report_112.pdf
9 Collins A., Fischer G., Barron B., Liu C., Spada H. (2009). Long-Tail Learning: A Unique Opportunity for CSCL? In: Proceedings of the 8th International Conference on Computer Supported Collaborative Learning, 2009, 22–24
10 Degreed. Infographic: The Learning Content Landscape. URL: http://blog.degreed.com/infographic-the-learning-content-landscape/
12 Iversity (2016). Real Learning. Online. – Enrol now! Kurse. URL: https://iversity.org/de/courses
13 Udacity (2016). Über uns. URL: https://de.udacity.com/ueber-uns/
14 Karlsruher Institut für Technologie. E-Learning Services. URL: http://elearning.studium.kit.edu/img/Uebersicht_Plattformen.PNG
17 Johnson, T. (2016). ECTS-Punkte für Online-IT-Kurse. URL: http://www.it-markt.ch/de-CH/News/2016/08/08/ECTS-fuer-Online-IT-Kurse.aspx